Vor gefühlten hundert Jahren schrieb ich darüber, wie sehr mir das Papier-Zeitungsformat missfällt. Kommentiert haben Einige und mit recht auch vermerkt, dass ich genau die Zielgruppe sei, die Zeitungsverlage längst verloren haben: die Nichtzeitungsleser.
Das mag vielleicht dumm klingen: aber warum zum Kuckuck sollen sich Zeitungsverlage um mich kümmern, wenn ich doch eh keine Zeitung lese? Aus einem ganz einfachen Grund: mehr Leser, mehr Abos, mehr Geld, geilere Weihnachtsessen, Lohnerhöhungen und Einträge bei Wikipedia. Und vielleicht auch ein Bischen Weltherrschaft. Und erhaltene Kultur und Arbeitsstellen, Berufe und Talente.
Richard Gutjahr schrieb darüber, worüber Peter Hogenkamp bereits schrieb und schlussendlich auch die liebe Zeit: was denn genau Zeitungen im Jahr 2012 falsch und richtig machen. In den Artikeln geht es um die Verlage, übers Bezahlen der Nachrichten und Artikel, kaum aber über den Leser und seine Bedürfnisse selbst.
Wäre ich Inhaber der Zeitung «@dworni News Line» wäre ich leicht nervös geworden, als die Post letzten November das Format MyNewspaper lancierte. Die Grundidee ist genial und zeitgemäss, die Umsetzung und die Bedienbarkeit gingen aber ziemlich in die Hose. Ich hätte sofort eine Horde Programmierer angeheuert (vielleicht mit einem lustigen Open Data Day «Ideen gesammelt») und somit das Zeitungsformat der Gegenwart für meine @dworni-Zeitung innert 2 Monaten 6 Monaten fertiggestellt. Keine Abos von ganzen Zeitungsformaten, sondern eine individuell zusammenklickbare Zeitung. Geliefert via iOS App aufs iPad und iPhone, via Weblogin im Browser. Abos werden nach Anzahl abonnierten Themen berechnet. Ich möchte wirklich nicht den Sportteil mitbezahlen, der interessiert mich überhaupt nicht.
Bei Zeitungen ging es nie ums Papier. Es war nur dazu da, um die Nachrichten transportierbar und lesbar festzuhalten (zu Thema Haptik hat Peter Hogenkamp da eine Folie). Wer heute ein iPad hat, möchte seine Zeitung darauf lesen. Ich würde also auch an Bahnhöfen WiFi-Netze namens «@dworni News Line - jetzt laden» aufschalten und so Zeitungen digital verkaufen. Vielleicht führte ich sogar die erste Zeitung, welche gar nie gedruckt würde. Vielleicht hätte ich auch nie Redaktionsschluss deswegen und wäre immer laufend aktuell.
Vielleicht würde ich auf der Website auch nicht wie die NZZ zig verschiedene Abo-Lösungen für Web-Paper und e-Paper anbieten und separate Abos für die NZZ Am Sonntag zusätzlich verkaufen wollen. Wahrscheinlich wäre in meinem Header online auch direkt ein grosser Button um die neuste Ausgabe zu laden (und nicht irgendwo ein klitzekleiner Link in 11 px Schriftgrösse wie beim Bund / tamedia). Die Möglichkeit bestünde sogar, dass ich gar keine unpraktische Nachbildung der Papierzeitung namens «e-Paper» führen würde, weil dieses Format schlichtweg ungegeignet für das digitale Lesen ist.
Liebe Zeitungen,
es ist nicht so, dass wir euch nicht lesen möchten. Es ist auch nicht so, dass wir finden, 20minuten reiche uns ja. Es ist uns auch nicht Wurscht, ob die Texte gut oder voll Fehler sind. Wir möchten Qualität, die beste sogar. Und wir möchten nur für Lesefutter zahlen, welches uns auch interessiert. Wir möchten uns auch gerne weitere interessante Artikel verkaufen lassen, welche uns vielleicht noch interessieren könnten. Beispiele, wie ihr uns die Themen und Artikel am besten präsentiert, damit wir die dann auch kaufen möchten, gibt es genug. Viele haben einen Apfel drauf.
Wartet doch nicht darauf, dass irgend ein Startup euch den Garaus macht. Rettet eure Redaktion. Nicht nur eure Stars, sondern auch die, welche in den Nischen so gut sind. Denn in Zukunft werdet nicht ihr in der Redaktionssitzung bestimmen, was denn uns interessiert. Sondern wir bestimmen, was wir lesen möchten. Doch bitte, herrgottnochmal, verkauft uns das so, dass wir es auch kaufen können und möchten. A touch ahead.
Besten Dank,
euer (immer noch) Nichzeitungsleser
David
Update: @phwampfler schrieb weitere Gedanken zu diesem Post auf seinem Blog. Lesenswert. Zudem schrieb @SaschaLobo auch über die Nachrichtenkriese auf SPON. Weiter empfahl mir @bugsierer in den Kommentaren die düsterste Sicht von Herrn Messmer aus Indien.
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