gravatar
 · 
Sonntag, 07. Oktober 2012
 · 
9 min read






Festa dell’ Uva - Commissar Moretti inkognito

(Präsentiert von der Vereinigung Posturlaubaler Blogpostoptimierer, welche sich gegen langweilige Urlaubsberichte einsetzen. Folgender Kurzkrimi entstand direkt am Meer unter Alkoholeinfluss und bedarf circa 7 Minuten Lesezeit)

Er war den Tränen nahe. Moretti zupfte sich seine Nasenhaare selten bis nie. Doch heute war dieses verdammte Festa dell’ Uva und er hatte Dienst. Er hasste solche Anlässe. Menschenmengen, die wie Heuschrecken über Festbänke herfielen. “…und machen Sie sich ein bischen hübsch!” rief ihm Singnora Guttadauro noch nach, als sie ihm den anonymen Brief vor zwei Tagen aushändigte. Er solle sich als ganz normaler Gast unter die Leute mischen und ein Auge offenhalten. Im Brief stand nicht viel, Commissario Moretti hielt ihn für einen Streich, den man der, zugegeben attraktiven, Stadträtin Singnora Guttadauro spielen wollte:

SO WIE DIE TRAUBEN HINGEN, WIRD ER HäNGEN. FüR EIN FREIES LAND. DAS WIRD EIN FEST.

Ausdruck auf normales Büro-Papier, Tintenstrahldrucker, Arial 12 Punkt. Moretti zupfte sich ein letztes Haar aus der Nase und schrie beinahe vor Schmerz. Draussen begann es eben zu regnen und der Wind schlug die Balkontüre zu. Na bravo, fluchte Moretti innerlich. Auch das noch. Zudem hatte er noch nichts gegessen seit heute früh. Und er wusste, dass es am Festa dell’ Uva nur geschmorenes Schweinefleisch geben würde. Moretti beschloss vor seinem Einsatz als Commissario inkognito, noch kurz in der Trattoria da Mellini vorbeizuschauen. 

“Dottore, heute hätten wir ins Salzwasser gedünstete Kraken? Oder lieber Meerbarben vom Felsen, gesalzen, gebraten, vom Grill, mit einer Sosse aus Knoblauch, Öl und Rosmarin?”
“Bring mir Beides!" 
Moretti wollte vorsorgen. Oder besser: möglichst seinen Besuch an diesem Fest hinauszögern. ”…WIRD ER HÄNGEN, FÜR EIN FREIES LAND…“ Wenn es kein Schulbuben-Streich war, dann die Mafia. Was soll er denn, als Comissario ausrichten, wenn die Mafia wieder ein Zeichen setzen wollte? War das nicht ein Job für die Antimafia-Behörde? Er befasste sich lieber mit Tatsachen, Leichen und anderen Toten. Stattdessen spielte er hier den geheimen Privatdetektiv der Stadträtin von Morcone. Er wünschte sich wieder nach hause vor seinen Fernseher oder einem Buch. 
Moretti leerte sein Glas Rotwein, nippte nochmal vergeblich am leeren Espresso und setzte sich seinen Hut auf. "Ciao Enzo, du hast es gut. Pass auf deine Fische auf." 
Der Commisario setzte sich in seine Wagen und fuhr hinauf nach Capoliveri, über dessen Dächer sich tiefschwarze Wolken zusammenschoben.

Er zwang sich, sein Bedürfnis zu bezähmen, alles was dem alten Sack gehörte einfach in Trümmer zu legen. Seit über vierzehn Monaten versuchte er nun mit Lügen, Geld und Verrat diesem verfluchten hartnäckigen Bastard namens Don Balduccio sein Haus und Land abzukaufen - ohne Erfolg. Keinen Millimeter wich dieser Trottel von seinem Grundstück ab, kein Geld brachte ihn dazu, es zu verkaufen. 
Augusto Peroni hatte genug, mehr als genug. Die Immobilien-Agentur Pecorini Immobili Inc sass ihm im Nacken und drohte ihrerseits den Geldhahn zuzudrehen. Peroni wusste zu gut, was das bedeuten würde: alle seine Pläne für das neue Einkaufscenter könnte er begraben. Dabei wäre es gottverdammt nötig, dass diese Stadt ein anständiges Einkaufszentrum bekommt. Nur schon all der Touristen aus der Schweiz wegen, welche sich immer wieder mit allen Grundausstattungsartikeln wie Toilettenpapier, Geschirrspülmittel, Essig und Öl, Gewürze, Putzmittel und Brotaufstrichen für ihre leeren Ferienwohnungen eindeckten. Tag für Tag, Woche für Woche. Fast das ganze Jahr über.
Peroni wusste: Don Balduccio stand allen im Weg. Und musste weg. Was soll’s, er würde sowieso bald sterben mit seinen vierundachzig Jahren. Dass Balduccio noch rüstig und gut unterwegs war, ja sogar noch beim Laientheater mitspielte, interessierte ihn nicht. Und er hatte einen Plan. Augusto Peroni, sagte er sich in Gedanken, du bist ein Genie.

"Verzeihung, wissen sie vielleicht wo der Umzug endet?”, fragte Moretti eine der beiden herumstehenden Politessen. Die beiden leicht zu stark geschminkten Blondinen blickten zuerst ihn, dann sich gegenseitig verdutzt an und begannen gackernd zu lachen. “Sie stehen direkt auf der Bühne, hihi. Bitte gehen sie weiter, sonst verhaften wir sie noch, haha”. Moretti konnte sich wahrhaftig etwas Angenehmeres vorstellen, als sich von zwei überdrehten und verkleideten Schauspielerinnen verhaften zu lassen, knurrte ein “ah so, danke, ja, haha” und ging geradeaus zur Terasse. Von dort oben sollte er die beste Übersicht des über den Platz haben. Er drängte sich durch die Menschenmenge die enge Treppe hinauf und ergatterte sich ganz am vorderen Rand einen Platz mit bester Aussicht. 
Ein Auge offen halten, solle er. Sehr witzig. So stand er nun da, um in herum unter ihren Regenmänteln schwitzende Menschen, die sich fröhlich zuprosteten und auf eine Freilicht-Theateraufführung warteten, die ein besoffener Blinder erfunden haben musste. Dank seinem Zwischenhalt in der Trattoria hatte er offenbar aber genug Zeit totgeschlagen um rechtzeitig zum Ende des Schauspiels einzutreffen. Er erinnerte sich gerade nochmal an die Zeilen des anonymen Briefes, als auch schon die Blasmusik dem Umzug ankündigte.
Moretti konnte sich nicht mehr genau an die Geschichte des Spiels erinnern, er wusste nur, dass das Ende bei den Zuschauern immer wieder für Furuore sorgte. Die Spitze des Umzuges bildeten zwei dunkle Gestalten, die einen Karren vor sich her schoben. Dahinter ritten zwei Fahnenträger, welche das Wappen von Elba und das von Capoliveri trugen. Anschliessend lief die Blaskapelle, voraus die Trommler. Dahinter verbarg sich der Rest der Theater-Truppe: Mönche, Frauen in unterschiedlichsten Kostümen, Ritter, Kapitäne und ein Dutzend falsche Polizisten und Militärkorporale. Der Umzug entbarg sich, wie das Theaterstück selbst, sämtlicher historischer und sonstiger Logik.

Die Blasmusik hörte eben zu spielen auf und formierte sich zu einem Halbkreis, nachdem die beiden düsteren und vermummten Gesellen mit der Karre in der Mitte des Platzes stillgestanden waren. Nun folgte eine Szene, bei welcher ein König zu Ross mit einer älteren Dame offenbar heftig diskutierte, diese dann vom Platz trieb und anschliessend den beiden dunklen Gestalten ein Zeichen gab. Diese zerrten den Sack von der Karre und schleppten ihn zu einer Art Holzgestell. Im Sack bewegte sich augenfällig ein Gefangener, der nun bis zur Schulter enthüllt wurde und noch knapp bekleidet in der Unterhose dastand.

Moretti versuchte so viel wie möglich im Blick zu behalten, um irgend etwas Auffälliges zu entdecken. Doch wo er hinsah konnte er nur grölende und lachende Gesichter entdecken. Dieser Gefangene da auf dem Platz schien ein älterer Herr zu sein. Moretti vermutete, dass es Don Balduccio sein müsste: als rüstiges Dorf-Original fehlte er bei keinem Anlass von Capoliveri. Sein dunkel braungebrannter Unterkörper sah aus wie ein Stück Leder. Die beiden dunklen Gesellen hievten Don Balduccio leicht unkoordiniert auf einen Podest und legten ihm eine Schlinge um den Hals. 

Wie der Blitz fiel Moretti der anonyme Brief ein: “So wie die Trauben hingen wird er hängen…”. Der Commisario schaltete sofort und rief “STOP, AUFHÖREN” worauf die Menschenmenge mit einem gröhlenden Lachen reagierte. Verflucht, dachte Moretti, und bahnte sich mit aller Kraft einen Weg durch die Menschenmenge. Er wusste, dass nun jede Sekunde zählt. Nachdem er aus der vordersten Reihe herausgestossen war, sah er bereits Don Balduccio wie wild am Galgen zappeln. Die Menge applaudierte und begann frenetisch im Takt zu klatschen. Der Commisario schrie “AUFÖREN, NEHMT IHN SOFORT RUNTER!” doch die beiden Gesellen blickten ihn nur verärgert an. Als er heranhastete zischte ihm der eine entgegen: “HAU AB, DU BIST BETRUNKEN”. Moretti wusste sich nicht anders zu helfen, zog seine Pistole aus seinem Mantel und schoss knapp über Don Balduccios Kopf durch das Seil. Dieser fiel wie ein Sack zu Boden aber bewegte sich noch. Die Menge erstummte. Morettis Handy klingelte.

Signora Guttadauro schlug ihre langen Beine übereinander und strich sich über den Rock. “Nun” begann sie. “Ehrlich gesagt war mein Auftrag an Sie ein Auge offenzuhalten und nicht wie wild um sich zu schiessen. Haben Sie dazu irgend etwas zu sagen? Sie hätten Don Balduccio beinahe umgebracht!” Ihre Wangen waren leicht gerötet und irgendwie machte sie dies noch viel attraktiver. Moretti räusperte sich.
“Sehen sie. Meine Vermutung, dass der Galgen manipuliert worden war, lag anhand des Drohbriefs auf der Hand. Die beim Spiel eingesetzte Effekt-Strangulation kann sehr leicht manipuliert werden, der Erhängte stirbt einen qualvollen Erstickungstod. Halsschlagadern und Wirbelarterien werden zusammengepresst, der Delinquent erstirbt entweder zuerst an Atemnot oder verliert das Bewusstsein, da das Gehirn kein Blut mehr bekommt. Viel angenehmer wäre die sogenannte Long Drop Methode, bei dem der Erhängte durch eine Falltür fällt und an einem sofortigen Genickbruch stirbt. Diese Form des Erhängens führt bei Männern häufig zu postmortalen Erektionen und…”
“Hören Sie auf, Moretti. Als ob mich ihre perversen Geschichten interessieren würden. Gerade weil die Erhängungsszene nicht ungefählich ist, wird der Galgen immer kurz vor dem Einsatz geprüft. Eine Manipulation wäre sozusagen unmöglich. Doch der Fall scheint sowieso für sie abgeschlossen, Moretti”.
Singnora Guttadura stand auf und reichte dem Commissario einen Umschlag. “Sieht ganz so aus, also ob es sich nur um einen Schulbuben-Streich handelte. Tut mir leid für ihren vergebenen Einsatz als Shreiff” feixte sie und öffnete ihm die Türe. Moretti fluchte irgend etwas Unverständliches als er auf die Strasse heraustrat.

Der Commisario duschte zu hause, bis er alles heisse Wasser aufgebraucht hatte. Danach machte er sich in der Küche einen Kaffe und setzte sich vor den Fernseher. Das Regionalfernsehen zeigte gerade den Umzug in Capoliveri. Und natürlich Moretti, wie er, zum Glück nicht allzugut erkennbar, auf den Platz stürmte und schoss. Der Moderator kommentierte den Bericht anschliessend höhnisch und meinte, dass diese Szene vielleicht nächstes Jahr im Spiel genauso integriert würde. 
Moretti schaltete genervt auf eine Dokumentation über Walfische um und schlürfte seinen Kaffee. Irgend etwas war ihm im Büro der hübschen Stadträtin aufgefallen, aber er wusste nicht mehr was. Da war was faul. Von wegen Schulbuben-Streich. Offensichtlich war die Manipulation in die Hose gegangen, Morettis Schuss wäre nicht nötig gewesen. Und der alte Don Balduccio lag nun mit einem Rippenbruch im Krankenhaus. 
Er liess im Innern seine Blicke nochmals über den Schreibtisch der Stadträtin schweifen. Die antike grüne Banker-Schreibtischlampe mit goldenem Fuss, ihr Laptop, ein gerahmtes Bild, vermutlich Verwandte, ihre Handtasche, mehrere Papierstapel und ein Bleistift. In Gedanken blieb Moretti plötzlich bei einem Brief hängen, der ganz am vorderen Rand lag: ein Baugesuch eines Augusto Peronis, Titel “GESUCH üBERBAUUNG TRAVITA-GELäNDE”. Der Commisario stand ruckartig auf und wählte die Nummer seines Büros: “Überprüft sofort, wo sich Augusto Peroni herumtreibt und überwacht ihn. Er könnte sich gut in der Nähe von dem alten Don Balduccio aufhalten, ihr findet ihn im Krankenhaus in Portoferraio.”

Moretti legte auf, zog seinen Mantel an und machte sich zufrieden auf den Weg zur Trattoria. 

Tagged: moretti
Comments

No Comments.

Featured Image
Unsere Reise begann mit einer zufälligen Begegnung und einem kühlen Bier in Aarau. Reto und ich fanden nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch eine gemeinsame Leidenschaft: Das Leben neben der Arbeit. Wir waren uns einig, …
Featured Image
Ich sprach im Podcast "Im Bild" über meine KI-Expertise in Bildgeneratoren und das Making-Off der Bilder, die ich für die UNICEF Schweiz Kampagne erstellte.
Featured Image
Vermutlich gibt es eine Erklärung für dieses Phänomen in der Psychologie: passieren Dinge auf unserer Erde, welche die Schwelle in den Sensations-Bereich überschreiten, vergehen kaum Minuten und es hagelt Expert:innen zu jeglichen Themen, die …
Follow me
Talk to me

+41 77 412 97 97
hallo@davidblum.ch

Subscribe to me

Get my latest blogposts and news in your inbox. No spam, guaranteed.

© 2021 David Blum – Switzerland isch geil