Seit Elon Musk begonnen hat, Twitter kaufen zu wollen, fliegen die Federn rund um Twitter. Der 2022 als reichste Mann der Welt eingestufte Unternehmer (200 Milliarden Vermögen) kaufte im Oktober nach öffentlichem Geplänkel dann doch den Kurznachrichtendienst für 44 Milliarden US-Dollar. Kurz darauf spazierte er gezielt im Meme-Style in das Hauptquartier San Francisco und zeigte allen den Vogel: Hier bin ich und ich werde auch hier schlafen, bis ich alles so auf den Kopf gestellt habe, wie ich es für gut befinde.
Öffentliche Kissenschlacht
Nun, er kam wie ein Wirbelwind und schleuderte erst mal die Hälfte der Belegschaft (rund 3700 Mitarbeiter) aus ihren Arbeitsverträgen. Begründung: die (finanzielle) Gesundheit von Twitter. Gemäss seiner Aussage hatt(e) Twitter eine tägliche Cash-Burn-Rate von 4 Millionen $. Let that sink in.
Die Art und Weise, wie die Belegschaft gefeuert wurde, schien nicht schön von aussen betrachtet. Gerade wenn es schnell geht, fühlen sich Kündigungen noch unmenschlicher an. Klar ist aber auch, dass tausende Gekündigte ihrem Frust auch freien Lauf liessen – auch auf Twitter.
Elon Musk nimmt auf der anderen Seite erst mal kein Blatt vor den Mund und trollt herum wie ein kleines Kind mit seinem neuen Spielzeugvögelchen. Dabei löst er ein Drama nach dem anderen aus mit seinen Statements: zur scheinbar teilweise aufgeblasenen Technologie aka Legacy, stiftet Verwirrung rund um die Verification Badges und der Einführung eines teureren Twitter Blue Abos ($8 statt $4) und gibt sich in eine öffentliche Kissenschlacht mit bestehenden oder gekündigten Mitarbeitern, die seine Aussagen als falsch öffentlich anprangern.
Es ist nicht schön, das Drama mitanzuschauen, aber spannender als eine seichte Serie (nehme an, Netflix hat sich die Filmrechte zu diesem Fiasko bereits gesichert). Denn man lernt so einiges dabei. Wie man es nicht machen sollte und aber auch, wie man mit Tricks einen riesigen Dampfer in Kürze vom Eisberg wegsteuern kann.
Der Haken mit dem blauen Haken
Nebst den unschönen Entlassungen sorgte vor allem ein Thema für viel Verwirrung seit Elon am umstellen ist: die blauen Veryfied-Häckchen sollen alle bekommen, die pro Monat $8 zahlen. Begründung: in Vergangenheit konnte sich sowieso Hinz und Kunz diese Verified-Badges erbetteln. Es reichte z.B., wenn man kurz mal bei einem Medienunternehmen gearbeitet hat (hallo Lokalradio). Früher war es ein Leichtes an diese Badges zu kommen, später wurde der Dienst verschärft oder gar pausiert. So genau war das nie transparent, wie der Prozess genau ausgesehen hat. Insgesamt waren für mich die blauen Häkchen nie viel mehr als ein nettes Abzeichen, das höchstens die Sicherheit gab, dass es sich nicht um einen Fake-Account handelt.
Und genau da will Musk mit dem neuen Abo ansetzen: die Verifizierung soll erst mal kosten (Fake-Accounts hassen das) und der User dann über ein System verifiziert werden. Details dazu stehen noch aus, offenbar wird nun Tag und Nacht daran gearbeitet und das neue Twitter Blue soll Ende November 2022 ready sein (wohl vorerst USA/Kanada).
Dass diese Änderung zu viel Aufruhr führte, war klar: alle die sich ein blaues Häckchen in der Vergangenheit ergattert haben, finden es natürlich blöd, gilt ihre Auszeichnung und somit Sonderstellung künftig nicht mehr. Zudem ist es eine heikle Umstellung, ein (scheinbar) etabliertes Sicherheitssymbol neu für einen anderen Status zu nutzen. Das führte bereits dazu, dass Firmen-Accounts gefälscht und mit blauen Häkchen versehen wurden. Mit der Folge, dass Musk da gleich die Regelungen verschärft hat und Parodie-Accounts sich im Namen kennzeichnen müssen, sonst werden sie gesperrt.
Empörung und Alternativen
Viele langjährige Twitter-Benutzer sind empört über die Übernahme von Twitter durch Elon Musk. Gründe dafür gibt es unzählige. Abneigung gegen den reichsten Mann der Welt. Weil man Tesla-Fanboys hasst. Weil Elon sich wie ein überzuckertes Kind benimmt, Partei für fragwürdige Parteien in den USA ergreift und dass er viele seiner Handlungen der Öffentlichkeit präsentiert, als würde er uns endlich als Allwissender erleuchten usw.
Ich kenne mitunter solche Reaktionen der Nutzer von Social Networks, Apps und anderen Services. Einmal die Aufruhr gegen Whatsapp, dann gegen Instagram oder was auch grad die Gemüter bewegt. Meist zu recht! Aber am Ende wächst Gras darüber und die Dienste werden weiter genutzt. Oder sie verschwinden irgendwann.
Klassisches Verhalten: Alternativen suchen, zu dem aktuell bösen Dienst. Beispiel Whatsapp: es gab einen riesen Run auf Dienste wie Signal, Theema und co, als Whatsapp / Facebook wieder mal zeigte, dass die User doch nur mit ihren (Adressbuch)daten bezahlen. Stand heute: ich schreibe gerade mal mit maximal 3 Personen standardmässig Nachrichten über Signal, alle anderen nutzen (wieder oder weiterhin) Whatsapp.
Hochempörte stützen sich auch jetzt auf Twitter-Alternativen und kriechen sogar in den Keller um einen eigenen Mastodon-Server zu betreiben. Man schart sich dort in Grüppchen und lästert über das ganze Twitter-Drama, während man gleichzeitig das dezentrale Nerd-Tool glorifiziert. Schöne Goldgräberstimmung, aber auch irgendwie kindisch. Ähnliche Alternativen wie z.B. Diaspora zeigten zumindest in der Vergangenheit: kleine Nerd-Gruppen fühlen sich mit solchen Tools wohl, an der Masse werden diese Alternativen vorbeigehen. Einfach weil der Leidensdruck zu tief ist und niemand dahin will, wo die User (noch) nicht sind. Auch Ello hat es nicht zu dem geschafft, was man ursprünglich wollte.
Ich bin kein Atomreaktor-Experte
Ich bin weder Experte für Fukushima-Atomreaktor-GAUs, noch Covid-Wissenschaftler aber auch nicht sehr erfahren in der Leitung als CEO von grossen Tech-Firmen wie Paypal, Tesla oder... Twitter. Ich vermische auch nicht meine Ideen von einer dezentralen Opensource-Plattform, die komplexe Probleme zwischen kommunizierenden Menschen und Bots nur mit Goodwill lösen könnte, mit denen eines auch finanziell erfolgreichen Social Networks.
Ich sehe einen sehr erfolgreichen Visionär namens Elon Musk, der einfach macht, bizli egal was die anderen denken. Man mag alle seine Handlungen hinterfragen, wie menschlich die alle sind. Doch das kann man schon länger tun, sein Erfolg basiert auf viel Unmenschlichkeit. So wie auch der Erfolg von Steve Jobs viel Unmenschliches hinterliess. Man kann sich gerne mal die Biografien von solchen erfolgreichen Unternehmer:innen zu Gemüte führen, leider gibt es da viele Parallelen. Und doch: sie haben viel bewegt durch ihre Art, anders wäre es wohl nicht so weit gekommen.
Ich sehe aber auch, dass es aus wirtschaftlicher Sicht viel Sinn macht, was Musk aktuell mit Twitter tat und vorhat. Er setzt Zeichen, in dem er eine Woche nach seinem Einmarsch ins Twitter HQ bereits ein erstes App-Release herausgeben lässt. Wer in grossen Software-Firmen Einblick hat, der weiss, dass sowas nur mit Abkürzungen möglich war, die garantiert viele Mitarbeiter vor den Kopf gestossen haben. Ob Musks Pläne auf Anhieb aufgehen, wage ich zu bezweifeln. Allerdings hat er mit Tesla und SpaceX immer wieder gezeigt, wie er kleine Pläne flexibel dem Markt anpassen kann, improvisiert und seinen Masterplan nicht aus den Augen verliert.
Twitter war für mich eher tot die letzten Jahre. Da ging nicht wirklich was und Memes um bearbeitbare Tweets wurden zum Galgenhumor. Ich glaube ehrlich gesagt daran, das Musk den Vogel zum Fliegen bringen kann und bin gespannt, zu was sich die Plattform entwickeln wird. Auch wenn dabei viele Federn gerupft werden: sein Ehrgeiz wird spannende Änderungen bewirken. Und sein Ansatz «fail fast, learn fast» wohl auch weiterhin für Popcorn-Spannung sorgen.